Cordyceps - Raupenpilz

Veröffentlicht in: Der Tintling - Die Pilzzeitung 2007, Heft 52:39-43.

Der Tibetische Raupenpilz: Yartsa Gunbu
Daniel Winkler

Seit Jahrhunderten sammeln Tibeter Pilze nicht nur für den eigenen Kochtopf, sondern auch als Medizin und speziell als Exportprodukt für den chinesischen Markt. Seit der ökonomischen Liberalisierung Chinas, seiner  Integration in den Welthandel und dem daraus resultierenden Wirtschaftsboom, hat die Nachfrage nach Pilzen aus Tibet enorm zugenommen.

Über verbesserte Verkehrswege sind nun die entlegensten Täler und Hochweiden in den Handel integriert worden. Der Markt wird von dem Tibetischen Raupenpilz (Cordyceps sinensis - seit 2008 Ophiocordyceps sinensis) dominiert, den Chinesen seit mindestens 300 Jahren tonnenweise importieren. Die jährliche Produktion im Tibetischen Hochland liegt bei ca. 100-200t, was in etwa 300-600 Mio. Pilzen entspricht und einen Wert von etwa 3,5-7 Milliarden Yuan (350-700€ Millionen) in Tibet ausmacht. Tibeter kennenCordyceps sinensis als Yartsa Gunbu ("Sommergrass Winterraupe"). Im alten Tibet fand Yartsa Gunbu oft auch als Währung Verwendung. Neben dem Raupenpilz sind in Tibet speziell der Matsutake-Pilz (Tricholoma matsutake, Krokodil-Ritterling), der frisch nach Japan geflogen wird, und Morcheln (Morchella spp.), die getrocknet nach Europa verschifft werden, von ökonomischer Bedeutung. Etliche andere, viele uns vertraute Speisepilze wie der Steinpilz und der Pfifferling, sind von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung.
Ein "Bu"-Sucher gräbt mit einem einfachen holzernen Werkzeug. Beim Ausgraben vonCordyceps muss man sehr vorsichtig sein, dass man den Fruchtkörper nicht von der der toten und schon "verdauten" Raupe abbricht, was den Preis sehr vermindern würde.
© Daniel Winkler, Serkyim La, Juni 2006
 
Cordyceps sinensis Fruchtkörper
mit voll entwickelten Ascizellen.
Die Spitze ist wahrscheinlich von irgendendeinem Nager abgefressen worden.
© Daniel Winkler, Kongpo Barla,  Juni 2006

Wer will Pilzbonbons? Eine Tibeterin  bietet Raupenpilz in einer Bonbontuet zum Verkauf an auf dem Weg zum Kongpo Barla Pass.
Juni 2006   © Daniel Winkler

Der Tibetische Raupenpilz trägt allein über 95% zum Produktionswert der Pilzindustrie in Tibet Autonomen Region (TAR) bei, die etwa 40% des tibetischen Siedlungsgebiets umfasst. Von 1997 bis 2005 ist der Preis für Cordyceps in Lhasa nach einer Inflationsanpassung um 424% gestiegen, bei einem durchschnittlichen Anstieg von jährlich über 21%. Gegenwärtig werden in Shanghai bis zu 240.000¥ (24.000€) pro Kg für die beste Güteklasse bezahlt. Der Konsum des Pilzes - er wird in China traditionell gerne als Geflügelfüllung verkocht - hat sich zu einem echten Statussymbol der neureichen Elite entwickelt, die begeistert einen in China produzierten Luxusartikel aufnimmt, der viel wertvoller ist als zum Beispiel ein teurer Bordeaux oder Champagner. Der Raupenpilz, ein Verwandter der auch in Deutschland heimischen Puppen-Kernkeule (Cordyceps militaris), hat sich für tibetische Nomaden und Bauern zur wichtigsten Geldquelle entwickelt. 40% des Bareinkommens der ländlichen Bevölkerung - 93% der tibetischen Bevölkerung wohnt am Land, in Dörfern oder Kleinstädten - stammt vom Raupenpilz-Verkauf/Handel in der TAR. Zum tibetischen Bruttosozialprodukt trägt der Raupenpilz etwas mehr bei wie der gesamte Sekundärsektor von Industrie & Bergbau! Der Beitrag des Raupenpilzes zur tibetischen Wirtschaft ist allerdings bis jetzt nicht den offiziellen Zahlen der TAR zu entnehmen, sondern beruht auf Daten, die Luorong Zhandui vom chinesischen Tibet-Forschungsinstitut in Peking und dem Autor von Regierungsstellen zur Verfügung gestellt wurden. Den Zugang zu diesen sonst nicht veröffentlichten Daten ermöglichte eine Kooperation zwischen Luorong Zhandui und dem Autor im Rahmen einer Feldforschung im Juni 2005.

Seine erste Erwähnung in der tibetischen Medizinliteratur könnte der Pilz unter dem Namen "Ta Tschi" (da gyid) bereits im 8. oder 11. Jahrhundert gefunden haben, diese Interpretation ist aber nicht unumstritten. Eindeutig ist die Erwähnung des Yartsa Gunbu im 15. Jahrhundert durch Surkhar Nyamnyi Dorje, der Yartsa Gunbu als großartiges Aphrodisiakum preist; sein Traktat fängt an mit den Worten: "Von allen wunderbaren irdischen Freuden ist die Liebeslust die Essenz aller Sinnesfreuden." Tibetische Sammler machen im Interview allerdings deutlich, dass sie den Pilz nicht für ihre Potenz bräuchten. Cordyceps wird aber auch für eine Vielzahl anderer medizinischer Zwecke in der tibetischen und in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet, wo es zum ersten Mal 1694 beschrieben wird und als Dongchong Xiacao oder kurz als Chongcao bekannt ist. Generell wird es als ein Tonikum eingesetzt, das Lebenskraft spendet, Rekonvaleszenz beschleunigt und dem Alterungsprozess entgegenwirkt. Zudem wird es gegen Leber-, Nieren- und Lungenleiden verschrieben. SARS trieb den Cordyceps-Preisbeträchtlich in die Höhe. Im Westen wird es besonders zur Erhöhung der körperlichen Leistungsfähigkeit und als Mittel zur Stärkung des Immunsystems verwendet, was speziell zur Behandlung von Aids vielversprechend zu sein scheint. Etliche Tests untersuchen seine krebs- und tumorhemmende Wirkung und. Es gibt zahllose chinesische Studien, aber nur eine begrenzte Anzahl von westlichen Doppelblindstudien. Der westliche Bedarf wird von künstlich gezüchteten Pilzen gedeckt, die auch oft für medizinische Studien verwendet werden.

Jedes Frühjahr ziehen Heerscharen von Tibetern, Männer, Frauen und Kinder, auf die Hochweiden, um diesen winzigen Pilz zu sammeln. Für den Kreis Dengchen (Chamdo Präfektur, TAR) zum Beispiel erklärte der zuständige örtliche Beamte, dass 60% der Bevölkerung an der Suche auf den Hochweiden nach Bu, wie die Tibeter kurz für Yartsa Gunbu sagen, was Raupe oder Wurm bedeutet, teilnehmen. Der Pilz wird immer samt 5-10cm langer Raupe ausgegraben, daher sein Name. Der Pilz ist über das gesamte Tibetische Hochland verbreitet, das außer Tibet AR und Qinghai auch Teile von Sichuan, Gansu und Yunnan einschließt. Dort ist er auf fruchtbaren Hochweiden und Matten in Höhenlagen von 3000-5000m anzutreffen. Die Tibeter schlagen ihre Zelte in den Sammelgebieten für 3-4 Wochen auf. Den Sammlern folgen improvisierte Läden in Zelten, die Fertignudeln, Kekse, Bier und Batterien verkaufen. Oft werden auch Billardtische heraufgefahren, die unter freiem Himmel stehen und für Unterhaltung sorgen.
 
Der Pilz hat einen einzigartigen Lebenszyklus. Er befällt die wurzelbohrenden Larven von Motten der in Tibet endemischen GattungThitarodes, Verwandte des Hopfenspinners (Hepialus humuli). Nach Befall der Larve ernährt sich der Pilz vom Gewebe dieser Raupe. Im Herbst, kurz bevor der Pilz die Raupe schließlich umbringt, dirigiert der Pilz die Raupe in seine letzte Ruhestätte, ein paar Zentimeter unter die Erdoberfläche. Nicht befallene Raupen graben sich 20-50cm tief in den Boden ein, um den frostigen tibetischen Winter zu überstehen. Die Übernahme der Kontrolle über den Bewegungsapparat kurz vor dem Abtöten ist auch in anderenCordyceps-Arten beobachtet worden. Im Frühjahr ist von der Raupe nur noch das Exoskeleton vorhanden, alle inneren Organe und Gewebe sind von Hyphen, den feinen Fäden des Pilzmyzeliums, ersetzt worden. Aus dem Kopf der Raupe wächst schließlich der 5-15cm lange, sporen-produzierende Fruchtkörper des Pilzes, der an eine lang gestreckte Keule erinnert. Der dunkelbraune Pilz ragt aus dem Erdreich und ist nur für geübte und scharfe Augen auffindbar.

Die Suche nach dem Pilz ist der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen sehr ähnlich. Zum Glück sind fast alle Standorte des Raupenpilzes von Yaks und Schafen im Frühjahr komplett abgeweidet. Bu-Sammler sind zumeist mit Familie oder Freunden unterwegs. Sie bewegen sich sehr langsam durch die schier unendlichen Weiten der tibetischen Hochweiden. Ein Sammler findet pro Tag im Durchschnitt etwa 5-15 Exemplare, aber er kann auch mal nichts finden oder deutlich mehr. Ein Bu kann vor Ort für 5-20 ¥(0.5-2€) verkauft werden, was speziell von der Größe, aber auch von der Farbe und der Festigkeit des Wurmes abhängig ist. Der typische Tageslohn für ungelernte Arbeiter beträgt zum Vergleich derzeit in Tibet 15-25 ¥, was deutlich macht, dass während derBu-Saison sich kaum jemand finden läßt, um andere Arbeiten durchzuführen. Vielerorts gibt es spezielle Schulferien, denn Kinder haben beim Suchen den Vorteil, dass sie gute Augen haben und näher am Boden sind. Kurzum, es scheint, als ob das ganze Land genauso von Cordyceps befallen ist wie die Raupe selber.  

Familie bei der Suche von Yartsa Gunbu, dem tibetischen Raupenpilz (Cordyceps sinensis).  © Daniel Winkler, Kongpo Barla,  4400m, Landkreis Meldrogongkar, Tibet AR, Juni 2006.

Mit einer so wertvollen Ressource im Boden der Plateauhochweiden ist es nicht überraschend, dass es immer wieder zu Zwischenfällen kommt. Fast jedes Jahr enden solche Konflikte auch tödlich. Allein im Jahr 2005 sind drei unterschiedliche Fälle aus den Kreisen Dzato (Qinghai), Dengchen und Kongpo Gyamda (beide TAR) bekannt geworden. Zumeist sind es Konflikte zwischen Ortsansässigen und angereisten Sammlern um Sammelrechte. In Dzato allerdings waren es Einheimische, die ihre eigenen Kreisbeamten angegriffen haben, da sie der Meinung waren, dass diese über 650,000 ¥(65.000€) an Sammellizenzgebühren unterschlagen hätten. Die Beamten erhoben von Nicht-Ortsansässigen 1500¥ (150€) pro Person. Sammellizenzgebühren werden inzwischen in allen Kreisen erhoben. Die Höhe der Gebühren schwankt erheblich. Ortsansässige müssen in ihrem eigenen Kreis zumeist zwischen 50 und 400¥ (5-40€) pro Sammellizenz zahlen, während Auswärtige, wenn sie überhaupt zugelassen werden, eine Lizenz für 600-5000¥ (60-500€) kaufen müssen [Zum Vergleich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen betrug in AR Tibet in 2005 1861¥ (186€)]. Das Lizenzsystem wird nicht nur zur Besteuerung der Sammler verwendet, sondern auch zur Unterweisung über Umweltauflagen und schonende Ausgrabtechniken. Viehhalter bemängeln das Aufgraben der Erdkrumme und die nicht wieder geschlossenen Löcher, die zu Verstauchungen beim Weidevieh führen können. Zudem ist das Lizenzsystem die einzige Besteuerung des Pilzhandels.

Das Einkommen vom Pilzsammeln ist von größter Bedeutung. Früher wurden damit Tibets Tee, Seide und Brokatimporte von China finanziert. Heute ermöglicht das Pilzeinkommen den tibetischen Nomaden und Bauern, die häufig noch traditionelle Subsistenzwirtschaft betreiben, einen Arzt oder Krankenhausbesuche, Schulbücher, Gebühren und Steuern zu bezahlen. Zudem werden Konsumgüter erschwinglich, die zuvor für Tibeter unerschwinglich waren. Im Kernland des Verbreitungsgebietes, wo oft 70-90% des Bareinkommens von der Pilzindustrie stammt, haben viele Tibeter, wenn ein Stromanschluss zur Verfügung steht, Fernseher, DVD-Spieler und Satellitenschüsseln. Zudem  haben viele Männer von Pferd auf Motorrad umgesattelt. Eine Flotille von chinesischen 125ccm Maschinen ist speziell in den Nomadengegenden allgegenwärtig. Nomadenmänner bevorzugen eindeutig Investitionen in Mobilität als in Heimverschönerung. In den Orten sprießen viele neue kleine Läden, seitdem das Pilzgeld so reichlich fließt. In den besten Sammelgebieten, so etwa in Nagchu Präfekturs Bachen- und Driru-Kreisen, heuern Bauern Tibeter aus Shigatse für landwirtschaftliche Arbeiten an, deren Heimat-Präfektur sehr viel weniger Pilzressourcen hat.

Es stellt sich die Frage, ob dieser Boom andauern wird und ob die momentane Sammelintensität nachhaltig ist. Bis jetzt liegen keine Forschungen zu dieser Fragestellung vor. Auch kann die Wissenschaft noch nicht einmal die Larven eindeutig den bereits bestimmten Mottenarten zuordnen. Der Lebenszyklus des Pilzes ist so einzigartig und lässt sich nicht mit anderen gesammelten Speisepilzen vergleichen, deren Lebenszyklus viel besser erforscht ist. Zudem ist Cordyceps sinensis komplett von den über 30 Thitarodes-Mottenarten abhängig, deren sich der Pilz als Wirt bedient. Es besteht immenser Forschungsbedarf. Allerdings lassen sich Erfahrungswerte in Bezug auf langjährige Sammelaktivität ableiten. Tibeter sammeln Bu seit Jahrhunderten. Zahlen aus dem 19.Jahrhundert belegen erstaunlich hohe Exporte von etwa 10t jährlich aus Osttibet (gegenwärtig West-Sichuan und Süd-Qinghai), was etwa 15-25% der heutigen Produktion dort entspricht. Interessanterweise verfügen all die traditionellen Sammelgebiete noch immer über gute Cordyceps-Bestände, aber die momentane Sammelintensität ist sehr viel höher als in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten und somit ist zur Vorsicht geraten. Die steigenden Einnahmen durch den Raupenpilzhandel haben die ländlichen Wirtschaftskreisläufe in nur 5 Jahren in solch einem Maße angekurbelt, wie es 50 Jahre chinesisch-oktruierte Entwicklungspolitik nicht geschafft haben.  

                                      Das Verbreitungsgebiet des tibetischen Raupenpilzes in Hochasien  
Entwurf und Kartographie: Daniel Winkler Dez. 2009 (nachgebesserte Version, zuerst publiziert in Winkler 2008).  

Quellen:
Überwiegend eigene Feldforschung, teilweise veröffentlicht (siehe Netzseiten www.danielwinkler.com). Ökonomische Daten veröffentlicht in Winkler, D. 2008. Yartsa Gunbu (Cordyceps sinensis) and the Fungal Commodification of the Rural Economy in Tibet AR. In: Economic Botany 62.3 - special on fungi [Ich schicke gern ein Pdf per email auf Anfrage]. Zudem Verwendung von tibetischen und chinesischen Quellen.  
Winkler, D. 2008: The Mushrooming Fungi Market in Tibet exemplified by Cordyceps sinensis and Tricholoma matsutake. In: JIATS 4 (December 2008): Hier die Adresse zum einfuegen: http://www.thlib.org/collections/texts/jiats/#jiats=/04/winkler/all/


Es finden sich noch mehr Informationen und viele Photos zum tibetischen Raupenpilz im Cordyceps Reisebericht 2008 und der Expeditions Ankündigung

PS: Yartsa Gunbu ist im Deutschen auch als Jarza Gumbu, und Jartsa Günbu umschrieben worden. In Bhutan heisst es oft Yartsa Goenbub
und in Nepal Yarchagumba oder auch Yarshagumba.


Freude und Begeisterung beim Auffinden von Yartsa Gunbu, dem tibetischen Raupenpilz (Cordyceps sinensis). Ein Pilz bringt soviel Geld ein wie ein halber Tag Strassenbau.  Kongpo Barla,  4400m, Landkreis Meldrogongkar, Tibet AR, Juni 2006.© Daniel Winkler


Zu meiner Person:
Cordyceps-Verkäufer/innen bestaunen ihre Bilder. Kongpo Barla, Landkreis Meldrogongkar, LhasaPräfektur, Tibet AR, Juni 2006, Photo: Tony Migas



Daniel Winkler (Dipl. Geograph) erforscht seit 1988 Tibets Umwelt and arbeitet im Bereich ländlicher Entwicklung mit westlichen Hilfsorganisationen und chinesischen Forschungsinstituten. Seine Forschung bezüglich Pilzen und ländlichem Einkommen, Vegetation, Waldwirtschaft, Landnutzung und -entwicklung ist in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Gegenwärtig arbeitet Daniel zumeist über Pilze und deren Rolle im Leben der Tibeter. Daniel ist gebürtiger Münchener und lebt seit 1995 in Kirkland, Seattle, Washington State.
 

Last edited on Thu, September 20, 2012, 12:49 am